Auf der Alpe Piora im nördlichen Teil des Schweizer Kantons Tessin liegt ein Schatz – hunderte Schinken und Käse-Laibe reifen hier zu exklusiven Delikatessen.
Eine Brotzeit mit feinem Bergkäse und Schinken gehört für mich beim Wandern einfach dazu. Geht es euch auch so? Dann solltet ihr unbedingt Filippo Bronner und Davide Cominotti kennenlernen. Ich habe die beiden bei einem Ausflug auf die Alpe Piora im Tessin getroffen. Sie veredeln auf der Alm ganz besondere schweizer Spezialitäten.
Feinschliff für 7000 Schinken
Gut zwölf Jahre ist es her, als der Schinken- und Salamihersteller Ticinella ein äußerst erfolgreiches Experiment startete. In einem alten Kuhstall auf der Alpe Piora, mit 3500 Hektar Weidefläche die größte bewirtschaftete Alm des Tessins, richtete die Firma einen Reifekeller für die edelsten seiner Produkte ein. Etwa acht Monate bekommen über 7000 Schweinekeulen von ausgewählten Tieren nach etwa einem Jahr Vorreifung hier den Feinschliff in bester Bergluft – und werden zu einer gefragten Delikatesse.
„Die Belüftung ist ganz natürlich, wir haben keine Extrakühlung“
Filippo, Schinkenmeister auf der Alpe Piora
Filippo führt mich durch das zweigeschossige Gebäude. „Die Belüftung ist ganz natürlich, wir haben keine Extrakühlung“, erklärt der Schinken-Experte und zeigt, wie er ja Witterung Fenster und Luken in dem alten Gemäuer per Hand öffnet und schließt.
Nach dem Rundgang schneidet er mit einem großen Messer einige hauchdünne Scheiben zum Verkosten von einer Keule. Sehr würzig, weniger süßlich als bei anderen berühmten Schinken, etwa aus San Daniele, schmeckt das zarte, luftgetrocknete Fleisch. Umgerechnet etwa 400 Euro kostet eine Keule.
Kräutervielfalt gibt dem Käse seinen Geschmack
Ebenfalls von der Alpe kommt der in der Schweiz sehr beliebte Piora-Käse, den sein Kollege Davide von einem riesigen Käse-Rad abschneidet. Goldgelb in der Farbe, blumig-aromatisch und cremig schmeckt der vollfette Rohmilchkäse, der auf rund 1800 Metern Höhe nicht nur veredelt, sondern auch hergestellt wird.
Wir haben hier eine sehr große Vielfalt an Pflanzen, das kann man schmecken.
Davide, Käsemeister
Sommer für Sommer weiden hunderte Kühe auf den saftigen Wiesen rund um die Almgebäude. Sie fressen Spitzwegerich, Thymian, verschiedene Kleearten und weitere Blumen, Gräser und Kräuter. „Wir haben hier eine sehr große Vielfalt an Pflanzen, das kann man schmecken“, sagt Davide. Zwei Mal täglich werden Tiere gemolken, bis zu 4000 Liter Milch werden pro Tag direkt vor Ort verarbeitet. Durch eine Glasscheibe kann man den Mitarbeitern bei ihrer Arbeit in der hochmodernen Käserei zusehen.
Und so macht man Käse
In einem Kupferkessel wird die Milch auf 32,5 Grad erwärmt, Lab wird hinzugefügt. Messgeräte überwachen die Temperatur. Später schneiden und pressen die Käser die geronne Milch. „Für ein Kilo Käse müssen mindestens zehn Liter Milch verarbeitet werden. Je nachdem, wieviel Milch die Kühe geben, entstehen täglich zwischen 32 und 64 Käselaiber“, erklärt Davide, der auch die Reifung des gelben Goldes in den steinernen Almgebäuden überwacht. Regelmäßig wenden er und seine Kollegen die kiloschweren Räder und bürsten sie ab. Harte Handarbeit ist das. Im Herbst fahren sie etwa 3200 Laiber ins Tal.
Im Sommer kann man die Almprodukte im Hofladen erstehen. Neben Käse und Schinken gibt es auch Butter, Ricotta und Molke. Beim Käse bestimmt der Reifegrad den Preis: Junger Almkäse ist für umgerechnet rund 30 Euro das Kilo zu haben, je älter er wird, desto teurer wird das Produkt.
Entspannter Ausflug dank Seilbahn
Ein Ausflug zur Alpe Piora ist übrigens auch für Familien und Wanderanfänger gut machbar: Die Ritom-Standseilbahn erspart einen stundenlangen Aufstieg aus dem Tal. Die doppelstöckigen Waggons sehen ein wenig aus wie Londoner Busse und befördern die Wanderer fast senkrecht in nur wenigen Minuten über 800 Höhenmeter nach oben. Ein gut ausgebauter und perfekt beschilderter Spazierweg führt in knapp zwei Stunden erst an einem Stausee entlang und dann durch idyllische Almgebiete und zu Bergseen.
Besonders schön finde ich den dunkelgrün schimmernde Cadagno-See. Er ist einer der wenigen Seen weltweit, in dem sich die Wasserschichten nicht mischen. Einzigartige Algen, Einzeller und Bakterien haben sich aufgrund dieser Besonderheit hier angesiedelt. Der Fischreichtum ist groß. In einem Forschungszentrum direkt neben den Almgebäuden arbeiten den ganzen Sommer über Wissenschaftler, darunter vorwiegend Mikrobiologen, aus allen Teilen der Erde.
Die Forscher geben gerne Auskunft über ihre Arbeit und die Natur. Aber auch Infotafeln erklären, wie es zu diesem Phänomen kommt: Der See wird mit Wasser aus dem Gotthard- und dem Lukmanier-Massiv gespeist. Weil es sich bei den Bergen um unterschiedliche Gesteinsarten (Granit und Dolomit) handelt, hat das Wasser verschiedene Härtegrade, Sauerstoff- und Mineralienbestandteile und mischt sich nicht.
Ein Tagesausflug ist eigentlich viel zu kurz, um die von Gletschern geformte Alpenwelt mit rund 50 Seen, Hochmooren und Wasserfällen zu erkunden. Wer länger bleiben möchte, findet auf der Cadagno-Hütte einen äußerst komfortablen Stützpunkt. Das Schutzhaus auf knapp 2000 Höhenmetern wurde 2013 renoviert und bietet moderne Zimmer und sogar heiße Duschen. Auf der aussichtsreichen Terrasse kann man die Spezialität von Hüttenwirtin Eliana Ferretti schmecken lassen: Unglaublich leckere Gnocchi in den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen.
Wollt ihr mehr wissen?
Dann schaut beim Tessiner Tourismusverband „Ticino Tourismo“ unter www.ticino.ch vorbei.
Anfahrt
Mit dem Auto braucht ihr von Franken etwa sechs Stunden. Ihr fahrt etwa 550 Kilometer über die die A7 und die Schweizer Gotthard-Autobahn (A2) bis Airolo. Mit der Bahn von Nürnberg über Stuttgart und Zürich und weiteren Umstiegen dauert die Anreise etwa 8 Stunden.
Übernachten
Cadagno-Hütte (Berghütte, von Mai bis Oktober geöffnet)
Im Tal: Bed and Bike Tremola San Gottardo (kleines, neu renoviertes und familiengeführtes Boutique-Hotel mit preisgekrönter Küche (15 Gault Millau Punkte), Fahrradwerkstatt und sehr herzlichen Wirtsleuten.
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